In die richtige Stellung bringen - freie Fahrt dank digitaler Revolution
Die Planung eines Streckenausbaus geht weit über die Entscheidung hinaus, an welcher Stelle ein neues Gleis liegen soll. Auch viele weitere Gewerke, wie etwa die Leit- und Sicherungstechnik (LST), entlang des Bahngleises müssen angepasst oder neugebaut werden. Doch was steckt hinter dem Begriff? Und was macht die Technik zu einem zentralen Bestandteil der Planungen? Fragen, die Olesia und Sascha – die Experten im Team - leicht beantworten können.
Bei der ABS 38 sind die beiden Projektingenieure für die Leit- und Sicherungstechnik zuständig. Olesia hat in der Ukraine und in Deutschland Elektrotechnik studiert. Nach dem Studium hat sie in einer Firma gearbeitet, die sich mit erneuerbaren Energiequellen befasst. Zum Team der ABS 38 kam sie vor anderthalb Jahren.
Sascha ist erst seit vier Monaten als Projektingenieur im Projekt tätig. Allerdings hat der studierte Wirtschaftsingenieur mit Schwerpunkt Elektrotechnik bereits mehrere Jahre Erfahrung bei der Bahn. Bevor er zur ABS 38 kam, war er Teil eines speziellen Ingenieurprogramms im Bereich Leit- und Sicherungstechnik (LST).
Den richtigen Hebel umlegen
Beide kennen sich also im Gebiet der Leit- und Sicherungstechnik bestens aus und nehmen sich gerne die Zeit, uns etwas genauer zu erklären, womit genau sie sich im Arbeitsalltag auseinandersetzen. „Grob gesagt dient LST dazu, den Zugverkehr sicher abzuwickeln“, sagt Sascha. Olesia ergänzt, dass LST alles beinhalte, was mit Stellwerken, Signalen und Technik zur Zugbeeinflussung zu tun habe. Im Planungsauftrag des Bundesverkehrsministeriums ist genau festgelegt, wie die Ausbaustrecken mit LST ausgerüstet werden müssen. Das umfasst unter anderem die technische Ausstattung von Stellwerken. Tatsächlich, so berichten Sascha und Olesia, gibt es entlang der Strecke von Markt Schwaben bis Freilassing noch zahlreiche mechanische Stellwerke. Diese sind seit Ende des 19. Jahrhunderts bzw. Anfang des 20. Jahrhunderts in Betrieb. Im Dreischichtbetrieb stellen Fahrdienstleiter einen reibungslosen Zugverkehr sicher, indem sie nach entsprechendem Auftrag die Weichen und Signale in ihrem Stellwerksbereich manuell in die richtige Position bringen. Durch das Umlegen von Hebeln setzen die Fahrdienstleiter einen mechanischen Vorgang in Gang, bei dem über Drahtseile und mit dem Einsatz von Gegengewichten jedes Fahrwegelement, wie etwa Weichen, einzeln in die richtige Stellung gebracht wird. In einem letzten Schritt werden noch die Signale „auf Fahrt gestellt". Dann kann der Zug sicher durchfahren.
Zeitenwende: von mechanisch zu digital
Im Rahmen des Streckenausbaus der ABS 38 werden alle noch bestehenden mechanischen Stellwerke ersetzt. Das soll die Sicherheit erhöhen und gleichzeitig die Störanfälligkeit des Systems deutlich reduzieren. DSTW (digitale Stellwerke) werden in den kommenden Jahren deutschlandweit die veraltete Technik ablösen. DSTW sind eine Weiterentwicklung des ESTW (elektronische Stellwerke). Doch was leistet die modernste Art der Stellwerkstechnik im Gegensatz zum mechanischen Prozess? „Häufig sagen wir zum DSTW auch ,Cloud-Stellwerk' “, erklärt der gelernte Wirtschaftsingenieur. Denn in der Tat steckt in einem DSTW jede Menge neuster IT-Technologie. „Das ist wie bei einem Computer. Der Fahrdienstleiter kann dann alles, also Weichen und Signale usw., per Mausklick einstellen“, zieht Sascha einen vereinfachenden Vergleich. Über moderne Netzwerktechnik werden Stellbefehle, das heißt welche Stellung beispielsweise die Weichen haben sollen, übermittelt. Ein weiterer Vorteil der digitalen Stellwerke ist, dass durch die Verbindung von Stellwerk mit den einzelnen Stelleinheiten per Datenleitung eine deutlich größere Entfernung zwischen Stellwerk und Weichen bzw. Signalen erreicht werden kann. „Zwischen 50-100 km sind mit dem DSTW möglich“, sagt Sascha, „mit dem ESTW haben wir einen maximalen Radius von 12 km.“ Zum Vergleich: Bei einem mechanischen Stellwerk beträgt der maximale Radius weniger als 2 km.
Bei der Modernisierung der Stellwerke wird das Projektteam von externen Fachexperten unterstützt. Olesia und Sascha stehen mit diesen Planungsbüros im ständigen Kontakt. In regelmäßigen Abständen treffen sie sich mit den Planern, um dem aktuellen Planungsstand auszutauschen und das weitere Vorgehen zu besprechen.
Mehr Sicherheit dank des „Autopilots der Schiene“
Doch Olesia und Sascha beschäftigen sich nicht nur mit der Digitalisierung von Stellwerken. Eine weitere digitale Revolution fällt in ihren Zuständigkeitsbereich: ETCS. Das steht für European Train Control System. Vorstellen kann man sich ETCS wie eine Art „Autopilot für die Schiene“. Wie beim autonomen Fahren im Straßenverkehr gibt es auch auf der Schiene verschiedene Level. Je nach ETCS Level werden unterschiedlich viele Prozesse automatisch überwacht und gesteuert. In den höheren Leveln steht der Zug über ein Funknetz in ständigem Kontakt mit der Streckenzentrale - ähnlich dem Mobilfunknetz. Die Zentrale weiß zu jedem Zeitpunkt genau, an welcher Stelle sich der Zug befindet und wie schnell er fährt. Entsprechend gibt sie Stellbefehle an die Stellwerke weiter, sodass der Zug ohne Probleme passieren kann. Das soll auch die Sicherheit im Zugverkehr erhöhen. „Der Lokführer ist die letzte Sicherungsinstanz. Sollte ein System ausfallen, muss er den Zug steuern“, sagt Olesia.
Freie Fahrt durch ganz Europa
Gleichzeitig ist es ein System für Interoperabilität. „Konkret heißt das, dass Züge innerhalb von Europa barrierefrei verkehren können“, präzisiert die Elektrotechnikerin ihre Ausführungen, „ bislang ist es so, dass in den europäischen Ländern die Züge national in verschiedenen Sicherungssystemen gefahren wird. In Zeiten des Freihandels in Europa führt das zu zeit- und kostenintensivem Umspannen von Gütern und Waren an den nationalen Grenzen. Das zu vermeiden, ist auch ein Ziel von ETCS. Züge sollen mit Hilfe eines einheitlichen Sicherungssystems künftig ohne Probleme durch verschiedene Länder Europas fahren können.